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Inklusion als Team-Leistung: Ausbildung mit Autismus
31/05/2022
Mitarbeitende, Gesellschaft, Vielfalt |
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Wenn Niklas Flier heute in der Produktion bei Coca-Cola in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Maschinen bedient, unterscheidet ihn nichts von seinen Mitarbeitenden. Doch ganz normal seinen Job machen zu können, ist für Niklas etwas Besonderes. Der 22jährige ist Autist. 2021 hat er seine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer bei Coca-Cola Europacific Partners Deutschland (CCEP DE) erfolgreich abgeschlossen.
„Wenn ich jetzt an den Maschinen bin und weiß, ich bin kein Auszubildender mehr, sondern ein richtiger Mitarbeiter mit entsprechend mehr Verantwortung, das ist schon ein richtig gutes Gefühl für mich“, erzählt Niklas Flier. Der junge Mann ist am Asperger-Syndrom erkrankt, einer Form von Autismus, die sich unter anderem an einer eingeschränkten Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit zeigt. Niklas Flier hat lange nach einem Ausbildungsplatz gesucht. Nach seinem Realschulabschluss bewarb er sich bei zahlreichen Unternehmen, wurde zu Gesprächen und Einstellungstests eingeladen – und bekam immer wieder eine Absage. Doch Niklas gab nicht auf.
Das Bundes-Teilhabe-Gesetz sichert seit 2017 Menschen mit Behinderungen das Recht auf eine Ausbildung und einen Beruf zu. In der Praxis müssen die Betroffenen dennoch oft kämpfen, um beispielsweise einen Ausbildungsplatz zu finden – so wie Niklas. „Man darf sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und man kann nur aus Erfahrung lernen“, sagt der 22jährige. Mit dieser Entschlossenheit bewarb er sich auch bei Coca-Cola in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein kurzes Praktikum gab ihm die Chance, das Unternehmen vorab kennenzulernen und ermöglichte dem Team einzuschätzen, ob und wie es mit der Ausbildung funktionieren könnte.
Die Entscheidung, Niklas einen Ausbildungsplatz anzubieten, war der Startschuss für einen Lernprozess auf beiden Seiten. „Ich hatte keine Vorerfahrung und gerade selber frisch als Ausbilder angefangen“, sagt Christian Schmickler, Ausbilder am Coca-Cola Standort in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Sobald feststand, dass Niklas als Auszubildender anfangen würde, recherchierte der Ausbilder zu den Herausforderungen, die das Asperger-Syndrom mit sich bringt. Außerdem tauschte er sich ausführlich mit der Mutter von Niklas, dessen Betreuerin vom TÜV Rheinland und allen Beteiligten bei Coca-Cola aus: Schwerbehinderten-Vertretung, Betriebsleitung und den künftigen Mitarbeitenden des neuen Azubis.
Besonders die ersten Wochen waren trotzdem nicht einfach. „Ein Mensch, der Asperger hat, tut sich enorm schwer, Gefühle, Gestik und Mimik der anderen wahrzunehmen. Am Anfang konnten wir zum Beispiel gar keinen Blickkontakt halten, wenn wir miteinander gesprochen haben“, erinnert sich Christian Schmickler. Es dauerte, bis ein Vertrauensverhältnis aufgebaut war und Niklas sich auf das neue Umfeld eingestellt hatte. Umgekehrt mussten auch die Mitarbeitenden lernen, mit Niklas richtig umzugehen.
„Es ist eine Gemeinschaftsleistung, so etwas in Angriff zu nehmen“, sagt Martin Müller, Schwerbehinderten-Vertreter bei Coca-Cola in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Mitarbeitenden um Niklas Flier herum wurden vorbereitet und ein Personenkreis um ihn herum geschaffen, der besonders sozial eingestellt und bereit war, gegebenenfalls auch Aufgaben zusätzlich zu übernehmen.
„Inklusion bedeutet, dass Betroffene ins System integriert werden, aber das System wird für sie angepasst“, erklärt Martin Müller. Um Niklas in vollem Maß zu unterstützen, mussten alle zuständigen Stellen funktionieren und zusammenarbeiten.
„Es kommt bei Inklusion darauf an, dass sich alle darauf einstellen. Wichtig ist, dabei nicht nur die Schwächen, sondern auch die Stärken zu sehen, die andere vielleicht nicht haben“, sagt Annette Pampel, die als Senior P&C Consultant Diversity bei CCEP DE für die Themen Inklusion und Diversität zuständig ist. Inklusion sei immer ein individuelles Vorgehen, das viel Flexibilität und die Bereitschaft zur Selbstreflektion im Umfeld erfordert. „Man sollte sich immer wieder bewusst machen: Was tue ich da gerade?“, so Annette Pampel. Ein Beispiel dafür ist, sich nicht einfach nochmals und nochmals zu wiederholen, wenn eine Erklärung nicht verstanden wurde, sondern einen anderen Weg zu finden und es besser verständlich zu erklären.
Niklas ist heute ein vollwertiger Mitarbeiter in seinem Bereich. Er ist zuverlässig, er ist pünktlich, er kommt gerne zur Arbeit und er fühlt sich hier sichtlich wohl. Wir sind stolz darauf, dass wir hier am Standort alle an einem Strang gezogen haben. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen, dass Niklas seine Ausbildung erfolgreich abschließen konnte.
Niklas selber ist natürlich auch stolz auf das Erreichte – und er sieht es als Bestätigung dafür, trotz aller Hürden drangeblieben zu sein: „Nur weil ich eine Absage kassiere, darf ich nicht den Glauben an mich verlieren. Man sollte sich immer wieder selbst in Erinnerung rufen, welche Qualitäten und welche Stärken man hat“.